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Sprache macht Rassismus
23.12.2020 Luzie Hegele

Sprache macht Rassismus

Der gewaltsame Tod George Floyds im US-Staat Minnesota Ende Mai dieses Jahres erregte weltweit Aufmerksamkeit, Polizeigewalt und Rassismus waren bestimmende Themen. Im Rahmen von „Black Lives Matter“ (kurz: BLM) gingen Millionen von Menschen auf die Straßen um zu demonstrieren und zu protestieren – auch hier in Marburg. Und obwohl das Thema mittlerweile, ein halbes Jahr später, nicht mehr so präsent in den (sozialen) Medien ist und die Vorweihnachtszeit einem eine „Alle-haben-sich-lieb“-Brille aufsetzt: Rassismus ist noch da und das Kämpfen für Gleichberechtigung auf allen Ebenen noch lange nicht vorbei.

Rassismus: ein konstanter Begleiter unserer Sprache

Rassismus beginnt nicht damit, dass Menschen ausgeschlossen, misshandelt oder sogar hingerichtet werden. Fremdenfeindlichkeit beginnt viel früher und schleicht sich immer wieder in unsere Sprache. Und Worte sind eben nicht nur Worte, sondern ein ernstzunehmendes Machtinstrument, das die Realität verändern oder untermauern kann. Haben Sie gerade den Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ bedeutungsgleich für Rassismus gelesen ohne die synonymische Verwendung zu hinterfragen? Wird damit nicht impliziert, dass die Diskriminierung „Fremden“ entgegengebracht wird? Kann jemand, der hier aufgewachsen oder sogar geboren ist, „fremd“ in diesem Land sein? Rassismus wird Personen aufgrund äußerlicher Merkmale entgegengebracht, die eine bestimmte Abstammung vermuten lassen. Einfach so.

Shérif Korodowou hat sich bereits in Situationen befunden, in denen er sich durch etwas Gesagtes diskriminiert gefühlt hat. Korodowou kam 1995 im Anschluss an sein Germanistikstudium in Togo nach Deutschland, wo er 2002 das Studium der Politikwissenschaft mit Diplom abschloss. Heute ist er hauptberuflich tätig als Fortbildner für Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung im Rahmen des Impuls-Institutes für Konstruktive Konfliktbearbeitung. Dieses gründete er im Jahr 2005 gemeinsam mit seiner Frau. Nebenberuflich fungiert er als Dolmetscher im Asyl- und Strafverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sowie für Verwaltungsgerichte, Amts- und Landgerichte für vier afrikanische und drei europäische Sprachen. Als ehemaliger Integrationsbeauftragter der Stadt Marburg, langjähriger Vorsitzender des Afrikanischen Studierendenvereins sowie als Mitglied des Ausländerbeirates der Stadt Marburg verfügt er über fundiertes Wissen rund um die Themen Rassismus, Asyl und Integration.

Rassistisch sein ohne Rassist zu sein

„Begriffe wie ‚farbig‘ oder ‚dunkelhäutig‘ haben mich weniger gestört als die Reaktion der Sprechenden, wenn ich versucht habe, ihnen zu erklären, dass – beziehungsweise warum – diese Begriffe weder korrekt noch angemessen sind“, erzählt Korodowou. „Einige verstehen es nicht oder wollen es nicht verstehen. Andere gehen direkt in die Verteidigung nach dem Motto ‚Ich bin doch kein Rassist. Ich habe auch dunkelhäutige Freunde.‘“

Wie drückt man sich nun also korrekt aus? Welche Formulierungen sind diskriminierend und sollten nicht mehr Teil unseres Sprachgebrauchs sein? Teilweise werden rassistische Benennungen und Redewendungen benutzt, ohne dass den Sprechenden die Problematik bewusst ist.

Shérif Korodowou hat ein paar Begriffe definiert und erklärt, für was sie stehen und in welchem Zusammenhang sie was bedeuten:

„‚Schwarz‘ ist zwar politisch korrekt, viele Schwarze benutzen aber häufiger den Begriff ‚Black‘, um sich und andere Schwarze zu bezeichnen“, ergänzt Korodowou.

Für (Black, Indigenous and) People/Person of Color gibt es kein Pendant in der deutschen Sprache.

Selbstbezeichnung = Selbstbestimmung

Für die Wichtigkeit der Verwendung von Selbstbezeichnungen nennt Shérif Korodowou zwei ausschlaggebende Gründe: „Selbstbezeichnung ist Selbstbestimmung. Außerdem steht die Selbstbezeichnung für die Schwarze Community vor allem für eine Unabhängigkeit von anderen und für eine Emanzipation aus der Unmündigkeit. In vielen Bereichen wird für Schwarze Menschen entschieden. Ihnen wird geholfen ohne zu fragen, ob sie Hilfe benötigen oder welche Hilfe sie brauchen. Jahrhundertelang galten sie und ihr Herkunftskontinent als unmündig. Die Selbstbezeichnung ist eine politische Botschaft, die lautet: ‚Wir können entscheiden, wie wir genannt werden wollen und bitten alle, diese Entscheidung zu respektieren.‘“

Informieren – Akzeptieren - Ändern

Auf die Frage, was weiße Menschen tun können, um Sprache nicht weiter diskriminierend zu verwenden, hat der Marburger eine klare Antwort: Sich über Begriffe und deren Geschichte zu informieren ist der erste Schritt. „Sprachen entwickeln sich und bestimmte Begriffe sind mit der Zeit veraltet oder diskriminierend: Es ist noch nicht lange her, da war es normal ‚Zigeuner‘ oder ‚Fräulein‘ zu sagen.“, so Korodowou. Dass das N-Wort mittlerweile für die meisten in Deutschland ein No-Go ist, freut den Dolmetscher: „Es herrscht fast überall Konsens, dass dieses Wort total erniedrigend für die Betroffenen ist.“ Eine weitere positive Entwicklung sieht er in der Umbenennung der, wegen ihres Namens seit langem in der Kritik stehenden Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße (Anton Wilhelm Amo war der erste bekannte Rechtsgelehrte und Philosoph afrikanischer Herkunft in Deutschland), welche die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte im August beschloss.
„Der Begriff ‚Mohr‘ ist diskriminierend und Schwarze und People of Color wollen nicht als ‚Mohr‘ bezeichnet werden“, erläutert der Fortbildner.
Der zweite Schritt ist die Bereitschaft, Haltung zu zeigen. „Ich höre oft Beschwerden nach dem Motto: ‚Was kann man denn noch sagen?‘. Die Einstellung sollte jedoch sein: ‚Ich bin bereit mit der Zeit zu gehen, ich bin bereit zu verstehen, zu lernen‘“, erklärt Korodowou. Er führt fort: „Die Sprache zu sprechen, haben wir alle gelernt. Alle bisherigen Wörter und Fremdwörter haben wir gelernt. Ob wir nun drei weitere Wörter durch drei andere ersetzen, macht unsere Sprachkenntnisse nicht zunichte.“

Ganz im Gegenteil: „Es geht darum, Sprache lebendig zu halten, mit unseren Mitmenschen in eine gesunde Interaktion zu treten und sie nicht auszuschließen. Denn Sprache kann wohl für beides genutzt werden: isolieren oder integrieren.“

 

Links:

Hier geht es zu Website von "Impuls, Institut für konstruktive Konfliktberatung".

Hier finden Sie die Homepage des Ausländerbeirates der Stadt Marburg.

Hier können Sie einen Artikel über Shérif Korodowou lesen, der am 22.06.2020 in der Oberhessischen Presse erschien.

Beitragsfoto (oben): Tobias Hirsch, Oberhessische Presse

23.12.2020 Luzie Hegele